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„Ich bin der neue Professor und ich habe gar kein Auto!“

Prof. Dr. med. vet. Johanna Plendl

Prof. Dr. med. vet. Johanna Plendl

Mit einer gelungenen Überraschungsparty verabschiedeten sich ihre Kolleg*innen und die Studierenden am Institut für Veterinär-Anatomie von Prof. Plendl. Besonders das sehr originelle Buffet sorgte hier für staunende Gesichter.

Mit einer gelungenen Überraschungsparty verabschiedeten sich ihre Kolleg*innen und die Studierenden am Institut für Veterinär-Anatomie von Prof. Plendl. Besonders das sehr originelle Buffet sorgte hier für staunende Gesichter.
Bildquelle: Christina Herre, 2024

Ein persönlicher Blick aus dem Ruhestand auf die Karriere von Prof. Dr. Johanna Plendl

News vom 20.09.2024

Bereits zum Ende des letzten Wintersemesters verabschiedete sich Prof. Dr. Johanna Plendl in den Ruhestand. Sie ist ehemalige Direktorin und Professorin für Anatomie, Histologie und Embryologie am Institut für Veterinär-Anatomie, Fachtierärztin für Anatomie und Fachtierärztin für Pathologie. Seit 2009 ist Prof. Plendl zudem Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Bildung und Rückbildung von Blutgefäßen, die sogenannte Angiogenese und Antiangiogenese, und deren Regulierung.

Wir freuen uns sehr, dass Prof. Plendl sich die Zeit genommen hat, mit etwas Abstand ihren Werdegang Revue passieren zu lassen und uns dadurch an wichtigen Stationen, besonderen Ereignissen und Entscheidungen sowie herrlichen Anekdoten teilhaben lässt.

Herzlichen Dank und weiterhin alles Gute!

Die Fragen stellte Friederike Grasse.


Liebe Frau Prof. Plendl, nun sind schon ein paar Monate vergangen, seitdem Sie sich vom Fachbereich Veterinärmedizin verabschiedet haben. Wie geht es Ihnen damit?

Der Übergang vom Beruf zum Ruhestand ist jetzt schon fast ein halbes Jahr her und ich bin überrascht, wie gut ich mich daran gewöhnt habe. Ich verabschiedete mich mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Weinend, da ich meine Arbeit am Fachbereich immer als großes Geschenk empfand und nun die Studierenden und viele Weggefährt*innen vermisse. Mit einem lachenden Auge, weil ich Veränderungen im Leben letztendlich immer als Bereicherung empfand, auch wenn sie sich am Anfang nicht so anfühlten.

Fühlt es sich so an, wie Sie es sich erhofft und vermutet haben?

Da ich vor dem Sinnverlust durch die Pensionierung oft gewarnt wurde, habe ich mich früh mit dem Gedanken an den Ruhestand beschäftigt. Ich wusste schon vorher, dass ich dann meine jetzt 88-jährige Mutter unterstützen werde. Ein Hobby oder ein Ehrenamt habe ich mir bisher noch nicht gesucht. Sollte ich genug Freizeit haben, werde ich – wie auch schon vorher – reisen.

Was hat sich für Sie verändert?

Vieles, denn ich habe die Großstadt Berlin gegen mein Heimatdorf in Bayern getauscht. Das Leben auf dem Land empfinde ich als überschaubarer, ich genieße die Nähe zur Natur, obwohl die Anonymität der Großstadt auch etwas für sich hat.

Haben Sie sich für die Zeit nach Ihrem aktiven Arbeitsleben hier am Fachbereich etwas Besonderes vorgenommen? Und wie nah sind Sie dem schon gekommen?

Ich reise viel und zwar auch an Orte, die gemeinhin nicht als Traumziele gelten. Ein noch unerfüllter Wunsch ist es, nach Papua Neuguinea zu reisen. Ich arbeite daran.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag bzw. Ihre ersten Tage an der Freien Universität Berlin erinnern? Was war Ihnen damals besonders (positiv wie negativ) aufgefallen und bis heute in Erinnerung geblieben?

Mein erster Arbeitstag an der Freien Universität war im Juli 2000. Positiv in Erinnerung geblieben ist mir vor allem der sehr herzliche Empfang durch die Kolleg*innen des Fachbereichs und innerhalb kurzer Zeit gab es Kooperationen in Lehre und Forschung. Sehr positiv am Institut aufgefallen ist mir, dass es nicht – wie an einigen anderen Unis – eine strenge Unterscheidung zwischen Anatom*innen und Histolog*innen gab, sondern alle sehr kollegial in beiden Disziplinen zusammenarbeiteten.

Negativ in Erinnerung geblieben ist mir der Schrecken, als ich erkennen musste, dass es aber in den Pausen eine Trennung der Arbeitsgruppe in „Ossis“ und „Wessis“ gab. Das war zum Teil wohl auch der Tatsache geschuldet, dass es damals gar keine Teeküche oder einen ähnlichen Raum gab, in den alle passten. Mit der Zeit und einem größeren Gemeinschaftsraum hat sich das geändert.

An ein Ereignis an meinem ersten Arbeitstag kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich fuhr mit dem Fahrrad auf den Instituts-Parkplatz meines Vorgängers, den er mir bei einem Treffen gezeigt hatte. Da kam ein Mann auf mich zu und erklärte sehr bestimmt: „Junge Frau, hier können Sie ihr Fahrrad aber nicht parken, das ist der Parkplatz für das Auto des neuen Anatomieprofessors!“ „Ich bin der neue Professor und ich habe gar kein Auto!“, erwiderte ich … und damit war das Missverständnis nicht nur geklärt, es war vielmehr der Auftakt zu einem freundschaftlichen Miteinander mit dem betreffenden Kollegen. Es stellte sich heraus, dass er sich gut mit Fahrrädern auskennt und er hat so manchen platten Reifen an meinem Rad repariert.

Im Rückblick auf Ihre Zeit am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin: Was waren Ihre persönlichen Highlights?

Im Lehrbereich war das die jährliche Ankunft der neuen Studierenden und die abenteuerlichen ersten Stunden im Präpariersaal mit ca. 200 mit einem scharfen Skalpell bewaffneten, unerfahrenen aber dafür umso enthusiastischeren Erstis. Die Unterstützung der sehr kompetenten Präparator*innen des Instituts war hier im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig.

Der persönliche Kontakt mit den Studierenden in meinen Vorlesungen und praktischen Kursen bedeutete mir immer sehr viel. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, interessante Menschen, Originale, kennenzulernen, die ich nie vergessen werden, wie zum Beispiel die studierte Trickfilmerin, die bei uns als Hiwi mit ihren herrlichen Karikaturen die Anatomie aufmischte, oder die Studierende, die neben dem Studium in einem Berliner Club arbeitete, dazu noch boxte und im Physikum die sehr gefürchtete Frage zu den „Ausfallserscheinungen der Gehirnnerven“, atemberaubend perfekt beantworten konnte.

Worüber haben Sie sich besonders gefreut, worauf sind Sie stolz?

Besonders gefreut habe ich mich immer über spannende Befunde in der Zellkultur, für die ich mich manchmal so lautstark begeistern konnte, dass die Kolleg*innen glaubten, es sei etwas passiert. Ähnlich war das in den Momenten, in denen wir erfuhren, dass unsere wissenschaftlichen Manuskripte zur Veröffentlichung angenommen oder Drittmittelanträge genehmigt wurden. Den technischen Mitarbeiter*innen des Instituts, die aufgrund ihrer hervorragenden Arbeit dabei eine zentrale Rolle einnahmen, kann ich nicht genug danken.

Und sehr gefreut habe ich mich über den Ruf an die VetSuisse Fakultät in Zürich im Jahr 2006 und erst letztes Jahr über den Ruf an die Medical School Berlin.

Stolz bin ich auf viele meiner ehemaligen Doktorand*innen bzw. Habilitand*innen, die beruflich sehr erfolgreich wurden – sei es in Praxis, Klinik, Pharmaindustrie, als angesehene Amtstierärzte und mehrere als Professor*innen.

Was hat Sie in der Zeit eher verärgert oder ausgebremst, genervt o.ä. – oder anders formuliert: Was hätten Sie sich anders gewünscht?

Ausgebremst und genervt hat mich die teils absurde Verwaltung, die viel Manpower und Energie aufzehrte. Anfangs war ich darüber sehr aufgebracht und als eine Genehmigung für mein Berliner Labor, die ich an meiner vorherigen Arbeitsstelle, der Ludwig-Maximilians-Universität in München, innerhalb weniger Wochen bekam, auch nach einem halben Jahr noch auf sich warten ließ, zischte ich ins Telefon: „Jetzt verstehe ich, warum Bayern so viel reicher ist als Berlin, denn dort wird gearbeitet, in Berlin aber nur verwaltet.“ Die staubtrockene Antwort war „Dann jehn se doch wieda zurück!“ Da habe ich mir manchmal schon einen tüchtigen „Lab manager“, wie ich sie in Labors in den USA kennenlernte, gewünscht. Jedoch sind die Strukturen der amerikanischen Arbeitswelt nicht mit denen Deutschlands zu vergleichen und daher wird der Amtsschimmel hier noch lange und laut wiehern.

Im Jahr 2000 sind Sie von München nach Berlin gezogen – eine große Umstellung? Was fehlte Ihnen in Berlin besonders und was wissen Sie heute an Berlin zu schätzen, was Ihnen nun vielleicht neuerdings in Bayern wieder fehlt?

Der Umzug von München nach Berlin war natürlich erst einmal traurig, da ich dort fast 20 Jahre verbracht hatte und für mich wichtige Menschen sehr vermisste.

Aber Berlin hat es mir leicht gemacht, denn – und das sagte einmal eine Doktorandin – „in Berlin kommste an und darfste mitmachen“. Die Affinität vieler Berliner*innen zum Bayerischen hat mich erstaunt und gerührt, denn mir wurde oft versichert, wie gerne man meinen bairischen Dialekt hört, da er an den letzten Urlaub in Bayern erinnert.

Jetzt, wo ich auf dem Land und fern von Berlin lebe, vermisse ich vor allem seine tollen Museen und die vielen internationalen Restaurants … und dank der rosaroten Brille der Erinnerungen vermisse ich manchmal sogar die schmuddeligen Ecken. Wenn mich die Sehnsucht nach Berlin übermannt, dann lese ich eine Kurzgeschichte von Uli Hannemann (zum Beispiel aus „Neulich in Neukölln: Notizen von der Talsohle des Lebens“).

Seit 2009 sind Sie Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Das ist sehr beeindruckend, denn die Wahl zum Mitglied in der Leopoldina gilt bekanntlich als eine der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnungen, die eine deutsche Institution vergibt. Wie kam es damals dazu und welche Aufgaben und besondere Erfahrungen brachte dies konkret für Sie mit?

Die Aufnahme in die Leopoldina war eine hohe Ehre für mich und den Fachbereich. In der Leopoldina hat man u.a. die Möglichkeit, Stellungnahmen und Empfehlungen zu (tier/medizinischen) Fragen abzugeben und mittels Gutachten oder Vorschlägen für Preise Wissenschaftler*innen zu fördern. In die Leopoldina wurde ich gewählt, nachdem ich durch ein Akademiemitglied aus dem Fachbereich vorgeschlagen wurde, welches dann die sukzessive Zustimmung von den Kollegen der „Sektion Veterinärmedizin in der Klasse III Medizin“ einholte. Danach mussten noch weitere Mitglieder der Leopoldina und zuletzt das Präsidium zustimmen. Im Verlaufe des Auswahlverfahrens wurde mein Lebenslauf und meine wissenschaftlichen Publikationen geprüft. Soweit ich weiß, war ich damals die erste Tierärztin in der Leopoldina, männliche Mitglieder meines Berufsstands gab es bereits. Ich habe es also vor allem Männern zu verdanken, in die Leopoldina gewählt worden zu sein, wie ich im Übrigen auf meinem Berufsweg in dankenswerter Weise vielfach durch Männer gefördert wurde.

In Gremien und in Forschungsprojekten beschäftigten Sie sich erfolgreich mit tierschonenden Testmethoden und alternativen Methoden zu Tierversuchen in der Forschung. Wie schätzen Sie die Bedeutung von Ersatzmethoden in der Veterinärmedizin bezogen auf Lehre und Forschung grundsätzlich ein? Wird dieser Bereich in Zukunft in Lehre und Forschung der Tiermedizin weiter an Bedeutung gewinnen? Wo liegen Ihrer Meinung nach Grenzen der Alternativmethoden?

Ersatzmethoden haben sowohl in Lehre als auch Forschung großes Potential und Untersuchungen und Eingriffe sollten soweit und sooft als möglich an Phantomen in „Skills labs“ geübt werden, bevor es an die echten Tierpatienten bzw. an Versuchstiere geht.

Es gibt allerdings noch nicht ausreichend viele und gute Simulatoren und daher sind in der Lehre Übungen am lebenden Tier notwendig. Studierende der Humanmedizin können sich gegenseitig untersuchen, in der Tiermedizin dagegen gilt so ziemlich jede Manipulation am Tier als Tierversuch. Ich habe viele Jahre die harmlose Ultraschall-Anatomie an trainierten Hunden gelehrt. Während der Ultraschall-Untersuchung wurden immer zwei Studierende eigens dafür abgestellt, den Hund zu kraulen und ihm in regelmäßigen Abständen ein „Leckerli“ zu geben. Aus rechtlichen Gründen musste dies dann als Tierversuch deklariert werden.

In der Arzneimittelzulassung sind Tierversuche gesetzlich vorgeschrieben. Ich kenne niemandem, der gerne Tierversuche durchführt, aber sie verhindern, dass Menschen in klinischen Studien zu Schaden kommen. Daher werden sie auch in Zukunft eine Rolle spielen. Meine Hoffnung ist, dass Virtual reality, Augmented reality und Mixed reality zur weiteren Reduzierung von Tierversuchen beitragen werden.

Sowohl an als auch außerhalb der Freien Universität haben Sie viele Funktionen in akademischen Gremien übernommen, zudem (Verbund-)Projekte geleitet und koordiniert. Welche lagen Ihnen warum besonders am Herzen?

Ein wichtiges Anliegen vieler meiner Projekte war die Etablierung und Standardisierung dreidimensionaler in vitro Modelle der Angiogenese, um Tierversuche zu reduzieren bzw. zu ersetzen. Insofern lag mir die Mitarbeit im Lenkungsausschuss der Berlin-Brandenburger Forschungsplattform BB3R mit integriertem Graduiertenkolleg „Innovationen in der 3R-Forschung – Gentechnik, Tissue Engineering und Bioinformatik” besonders am Herzen.

Ein weiteres Lieblingsprojekt (mit meinem ehemaligen Doktoranden Dr. Giuliano Corte, jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Veterinär-Anatomie in Zürich) war der „SimulRATor“, der das Ziel hatte, einen neuen, aus anatomischer Sicht realistischen Simulator der Ratte mittels 3D-Drucktechnik zu erstellen, welcher in speziellen tierversuchskundlichen Kursen eingesetzt werden kann. In diesem Projekt wurden zusammen mit Prof. Christa Thöne-Reineke und ihrem Team alle erhältlichen Ratten- und Maussimulatoren auf ihre Eignung als Ergänzungsmethode im Sinne des 3R-Prinzips evaluiert.

Durch meine Expertise und unsere erstklassigen technischen Assistent*innen in der Transmissionselektronenmikroskopie konnten wir uns an vielen interdisziplinären Forschungsprojekten, auch im Bereich der Humanmedizin, beteiligen. Besonders spannend empfand ich die Suche nach bestimmten Zellen („pale cells“) im Uterus und angrenzenden Organen, die möglicherweise bei der Entstehung der Endometriose entscheidend sind, in Zusammenarbeit mit Prof. Sylvia Mechsner vom Endometriosezentrum der Charité.

Und nicht zuletzt lagen mir auch die „Frauenprojekte“ sehr am Herzen, nämlich die erstmalige Etablierung eines Programms zur Unterstützung von Schwangeren und Müttern/Eltern beim Studium der Veterinärmedizin und die Etablierung eines Mentorinnenprogramms für den Fachbereich Veterinärmedizin, letzteres zusammen mit Prof. Mondy Bahramsoltani.

Sie verbrachten mehrere Forschungsaufenthalte im Ausland, u. a. Bland-Sutton Institute, Middlesex Hospital, London, U.K.; Medical School, University of KwaZulu-Natal, Durban, Südafrika; Lung Institute, University of Western Australia, Perth, Australien. An welchen Aufenthalt denken Sie warum besonders gern zurück?

Aus beruflicher Sicht denke ich am liebsten an meine Zeit in den USA zurück. Dort arbeitete ich als Stipendiatin der DFG zwei Jahre (und danach noch in vielen Semesterferien) bei Prof. Robert Auerbach, einem Experten für Angiogenese, der Entwicklung von Blutgefäßen. In seinem großen Institut an der University of Wisconsin mit schier endlosen Drittmitteln forschten Wissenschaftler*innen aus aller Welt, und manchmal schlief man sogar im Labor, wenn es für ein Experiment notwendig war. Die Zeit dort war im positiven Sinne aufregend und hat meinen Horizont enorm erweitert.

In privater Hinsicht denke ich besonders gern an meinen Aufenthalt in Australien vor 16 Jahren, weil ich dort meinen Partner Ken Richardson kennengelernt habe. Ich arbeitete damals an einem wissenschaftlichen Kooperationsprojekt mit dem Lung Institute of Western Australia in Perth, und wie ich das immer auf meinen Reisen tat, besuchte ich die lokale Veterinäranatomie, um Kontakte zu knüpfen und dazuzulernen. Ken, Zoologe, Tierarzt und Experte für die Anatomie von Krokodilen und Kängurus, war Professor an der dortigen Murdoch University.

Angenommen, Ihre Abiturprüfung läge unmittelbar vor Ihnen. Würden Sie sich mit dem Wissen und den Erfahrungen, die Sie heute haben, wieder für ein Studium der Veterinärmedizin bewerben? Warum bzw. warum nicht und für welchen Studienbereich stattdessen?

Ja, ich würde unbedingt wieder Veterinärmedizin studieren – das war damals mein Plan A, es existierte aber auch ein Plan B, falls ich den Numerus clausus nicht schaffen sollte. Ich studierte, um Rinderpraktikerin zu werden und arbeitete schon während meiner Doktorarbeit mit großer Begeisterung bei einem Fachtierarzt für Rinder. Als ich dann von meinem Doktorvater ein Stellenangebot in seiner Forschungsgruppe bekam, nahm mein Lebensweg eine unerwartete Wendung. Mit dem Abschied von der Großtierpraxis habe ich danach mehrmals in den unsicheren Abschnitten der wissenschaftlichen Laufbahn – wie es sie zum Beispiel bei der Verlängerung von universitären Arbeitsverträgen gab – gehadert. Die Arbeit in Forschung und Lehre empfand ich immer als sinnhaft und tat sie mit Herzblut und Freude, bei freiwilliger und großzügiger Überschreitung der regulären Arbeitszeit, auch am Wochenende.

Was raten Sie Studienanfänger*innen von heute?

Die Studierenden sollten sich bewusst machen, durch das Studium der Veterinärmedizin einen außergewöhnlich facettenreichen und interessanten Beruf erlangen zu können.

Tiermediziner*innen behandeln zahlreiche Spezies, und diese „Diversity“ verlangt breiteres Denken als es der Focus auf nur eine Spezies, wie etwa in der Humanmedizin, verlangt. Tiermediziner*innen kennen und verstehen nicht nur die speziesspezifischen Besonderheiten, die zum Beispiel einen Hamster, einen Hund, ein Pferd, einen Elefanten, ein Huhn, eine Schildkröte oder einen Goldfisch machen, mehr noch, gute Tierärzt*innen müssen auch über das notwendige Wissen zum „Cross-species thinking“ verfügen. Das heißt, zu wissen, dass und warum zum Beispiel bestimmte Pflanzen, die ein Schaf verträgt, ein Pferd krank machen oder Arzneimittel, die einem Menschen helfen, Hunde schwer schädigen.

Durch das Studium steht uns Tiermediziner*innen eine riesige Palette von Berufsmöglichkeiten und Arbeitsgebieten offen: neben kurativer Praxis und Klinik können wir zum Beispiel im Bereich Veterinary Public Health Verantwortung für die Gesundheit von Menschen tragen, als Wissenschaftler*innen in Forschungsprojekten neue Strategien gegen Krankheiten von Tieren und Menschen entwickeln oder in der pharmazeutischen Industrie Risikoanalysen bei der Arzneimittelzulassung durchführen.

Dieses Privileg, aus einem breiten Fächer von Karrieremöglichkeiten auswählen zu können, spiegelt sich allerdings in der hohen Schwierigkeit des Studiums wider. Dieses ist sehr arbeitsintensiv und anstrengend, aber es ist machbar. Nicht bestandene Prüfungen sind kein Weltuntergang – haben Sie in solchen Fällen keine Angst, mit Ihren Dozierenden zu sprechen.

Angenommen, Sie würden in zehn Jahren noch einmal kurz zu Besuch an Ihr Institut/ an den Fachbereich zurückkehren: Welche Entwicklung wünschten Sie sich bis dahin besonders fortgeschritten und etabliert?    

Der Beruf des Tierarztes/der Tierärztin verändert sich derzeit massiv durch die Integration von KI-basierten Technologien in den Arbeitsalltag praktisch aller Fachgebiete.

Am Institut wurde in meiner Arbeitsgruppe durch ein Projekt von Prof. Sabine Käßmeyer (ehemalige Doktorandin und Mitarbeiterin, jetzt Leiterin der Veterinär-Anatomie in Bern) bereits mit KI zur Quantifizierung der Angiogenese gearbeitet. Sie spart Zeit und Mühe – vorausgesetzt, der Anwender/die Anwenderin ist mit der Methode vertraut und hat das notwendige Fachwissen zur Qualitätssicherung, denn die Ergebnisse werden u.a. durch Artefakte beeinträchtigt.

Ich würde mir wünschen, dass es dem Institut und dem Fachbereich gelingt, auch in 10 Jahren und darüber hinaus Tierärzt*innen und Expert*innen insbesondere in den hard sciences hervorzubringen, welche in der Lage sein werden, Daten der KI kritisch zu beurteilen und fehlerhafte Ergebnisse, Fehlinterpretationen und fake facts der KI zu diagnostizieren.


Am Ende dieses Interviews möchte ich alle Kollegen und Kolleginnen sowie alle Studierenden, die sich noch an mich erinnern, herzlich grüßen. Vielen Dank, es war so schön mit Euch!

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