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Ein Ethik-Kodex von Studierenden für Studierende

Prof. Christa Thöne-Reineke und Prof. Diana Meemken stellen den Ethik-Kodex der Studierenden beim Tag der Lehre vor.

Prof. Christa Thöne-Reineke und Prof. Diana Meemken stellen den Ethik-Kodex der Studierenden beim Tag der Lehre vor.

Thomas Conrad entwickelte mit zehn weiteren Studierenden den neuen Ethik-Kodex

Thomas Conrad entwickelte mit zehn weiteren Studierenden den neuen Ethik-Kodex

Beim Tag der Lehre des Fachbereichs Veterinärmedizin am 25. Mai stellten Prof. Christa Thöne-Reineke, Leiterin des Instituts für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde sowie Tierschutzbeauftragte der Freien Universität und Frau Prof. Diana Meemken, Institut für Lebensmittelsicherheit und -hygiene, Arbeitsgruppe für Fleischhygiene, einen Ethik-Kodex vor, den es so in Deutschland bisher noch nicht gab. Teilnehmende ihres Wahlpflichtfachs formulierten in zehn Punkten ihren ethischen Anspruch als Studierende der Veterinärmedizin.

Thomas Conrad, einer der elf beteiligten Studierenden und Christa Thöne-Reineke beantworteten Fragen zu Motivation und Anlass, aber auch kritischen Situationen und Diskussionspunkten rund um den neuen Ethik-Kodex.

News vom 06.06.2023

Frau Thöne-Reineke, aus welchem Grund oder Anlass haben Sie diesen Wahlpflichtkurs angeboten?

Christa Thöne-Reineke: Genau genommen gab es drei Anlässe. Zum einen wusste ich, dass wir so etwas brauchen, seit einem Vorfall, der sich ereignete, als ich noch relativ neu an der Freien Universität war. Damals, 2016, hatten Studierende den Fachbereich beim Veterinäramt angezeigt, ohne vorher Rücksprache gehalten zu haben. Das hat mich sehr verwundert. Es war zwar wirklich ein sehr unschöner Fall damals, der die Studierenden sehr bewegte, aber rechtlich wurde korrekt gehandelt. Und ich hätte mir damals gewünscht, dass sie zunächst mit dem Fachbereich darüber sprechen, bevor sie eine Anzeige erstatten.

Den Fall von damals können Sie im Tetfolio nachlesen.

Darüber hinaus berichten auch die Kliniker immer wieder davon, dass sich Studierende entsetzt über die Haltungsbedingungen von Nutztieren in einigen Betrieben zeigen, die sie im Rahmen der Ausfahrten besichtigen. Manche Studierende, die meistens bis dahin nicht mit der Landwirtschaft in Kontakt waren, wollen auch dort direkt zum Amtsarzt gehen und die Betriebe anzeigen, ohne dass da rechtlich etwas anzuzeigen wäre, weil sie mit den Dingen nicht vertraut waren.

Der dritte Punkt in diesem Zusammenhang ist das Schlachthof-Praktikum, das immer weniger Studierende absolvieren möchten. Da dies jedoch verpflichtend ist, kommt es auch hier immer wieder zu Unmut, Unverständnis und dem Impuls, den Betrieb anzuzeigen.

Aus dieser Dilemma-Lage war es uns ein Herzensanliegen, dieses Thema anzugehen. Zum einen wollten wir zusammen mit den Studierenden Grundsätze erarbeiten und zum anderen sollte allen Studierenden ein Weg aufgezeigt werden, den sie bei dem Verdacht eines Tierschutzverstoßes unkompliziert und - wenn sie das möchten-, anonym gehen können.

Hierfür gibt es nun dank des Wahlpflichtfachs eine Entscheidungshilfe zur Beurteilung von potentiellen tierschutzrelevanten Situationen sowie ein Online-Meldeformular.

Wer war beteiligt und worum ging es in dem Kurs?

Christa Thöne-Reineke: Der Kurs wurde im Sommersemester 2021 als Wahlpflichtfach für das 6. Semester von Prof. Diana Meemken aus dem Institut für Lebensmittelsicherheit und -hygiene, die auch die Schlachthofpraktika betreut, PD Dr. Carola Fischer-Tenhagen für den Bereich Praxis und Ausfahrten und mir angeboten. In einem allgemeinen Teil sensibilisierten wir für das Thema Tierversuche, 3R etc. Denn es muss jedem Studierenden klar sein, dass die Ausbildung am Tier während des Studiums ein Tierversuch ist.

Weitere Informationen über den 3R-Ansatz (Replace, Reduce, Refine), das ethische Spannungsfeld, rechtliche Rahmenbedingungen und die Tierschutzaktivitäten der Freien Universität Berlin finden Sie hier.

Nachdem wir die drei Bereiche vorgestellt hatten, teilten die Studierenden sich ihren Interessen entsprechend mit jeweils drei bis vier Personen in Expertengruppen auf.  Sie tauschten grobe Vorstellungen aus, formulierten Ziele, sammelten und sichteten Materialien über Fälle in der Vergangenheit sowie bestehende Codices der Bundestierärztekammer und der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. In der Mitte des Kurses kamen alle noch einmal zu Austausch, Feedback und Diskussionen zusammen.

Später stellte sich natürlich die Frage, wie wir das für Studierende zugänglich machen können. Hier unterstützte uns erfreulicherweise Fabienne Eichler, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Dekanat für das Projekt VetCam Berlin. Mit ihrer Hilfe erstellten die Studierenden eine tolle Lerneinheit auf unserer Plattform Tetfolio.

Im Tetfolio können sich Studierende nun auf 26 Seiten mit dem Thema Ethik-Kodex befassen. Angefangen bei der Frage „Was ist überhaupt Ethik?“ über reale Fälle aus der Vergangenheit, Informationen zu Versuchstieren und 3R bis hin zum Ethik-Kodex der Studierenden und einem anonymen Meldeformular - alles aufgelockert durch abwechslungsreiche Quizfragen.

Herr Conrad, was hat Sie motiviert, sich als Student diesem Thema zu nähern?

Thomas Conrad: Ich kannte die Ethik-Codices von der Bundestierärztekammer und der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. Weil es so etwas aber für Studierende zugeschnitten noch nicht gab, fand ich es total spannend, daran mitzuarbeiten und so etwas zu entwerfen. Auch anhand von praktischen Beispielen aus der Vergangenheit. Außerdem kannte ich Studierende, die damals schon auf einem Schlachthof waren, dort Tierschutzverstöße sahen, aber Probleme hatten, das zu adressieren. Auch deshalb fand ich es total wichtig da mitzuarbeiten und eine Anlaufstelle zu etablieren.

Mittlerweile habe übrigens auch ich das Schlachthofpraktikum absolviert und muss sagen, dass es schon eine spezielle Erfahrung ist. Wir wurden zwar von Frau Meemken gut vorbereitet bezüglich Fleischbeschau, Schlachtprozess etc., aber es ist wirklich kein wundervoller Ort. Das ist eben Fleischproduktion im industriellen Stil und auch dort werden Tierärzte benötigt. Das Praktikum ist aber auch eine Bereicherung. Wer kommt schon in seinem Leben in einen Schlachthof?

Motiviert hat mich auch die Feststellung, dass ich häufig mit ganz extremen Meinungen in Kontakt komme, innerhalb und außerhalb des Studiums. Man hört Tierschutzorganisationen, nach deren Auffassung Tierversuche und Tierhaltung im Allgemeinen ganz furchtbar sind. Und dann kommt man im Studium oder im Gespräch mit Landwirten mit genau der anderen Seite in Kontakt. Deshalb fand ich es wichtig, etwas zu formulieren, das dabei hilft, alle Seiten zu verstehen, dann aber eben mit allen wissenschaftlichen Fakten, die uns im Tiermedizinstudium beigebracht werden, selber zu einem Schluss zu kommen, was denn für uns wirklich sinnvoll ist. Beide Parteien haben Argumente, aber die Landwirte müssen teilweise deutlich etwas im Tierschutz verbessern. Und Forderungen nach einer generellen Abschaffung von Tierhaltung, also diese ganz extremen Haltungen, die machen auch keinen Sinn. Man muss gesellschaftliche Realitäten einfach anerkennen. Und das war mir wichtig, da ein Teil zu sein in dem Prozess und das auch auszuformulieren.

Nun steht es einmal geschrieben und alle Studierenden können sich damit auseinandersetzen, eine Diskussionsgrundlage ist geschaffen

Konnten Sie sich innerhalb des Kurses schnell auf die Grundsätze einigen? Über welche Punkte haben Sie länger diskutiert?

Thomas Conrad: Es gab durchaus unterschiedliche Meinungen und wir haben sehr viel hin und her diskutiert. Tatsächlich auch bei Punkten wie der Reduzierung von Tierversuchen im Studium, die Arbeit mit lebenden Tieren etc.. Hier einigten wir uns letztendlich darauf, dass wenn es dadurch qualitativ in der Lehre keine Einbußen gibt, wir es prima finden an Modellen arbeiten zu können. Hier galt es elf Meinungen von elf Studierenden auf einen Nenner zu bringen und es dauerte, bis wir uns auf die finale Formulierung einigen konnten. Denn viele finden es eigentlich auch gut und richtig, dass wir an lebenden Tieren ausgebildet werden. So anstrengend die Diskussionen waren, so bereichernd waren sie auch. Letztendlich ging es ja genau darum, sich auszutauschen und auf Formulierungen zu einigen, hinten denen alle stehen können.

Es gibt auch gesellschaftliche Themen, in die wir uns als Veterinärmedizinstudierende mit unserem Know-how einbringen können und die wir deshalb in den Kodex mit aufgenommen haben, z.B. ökologische Themen wie die Auswirkungen der Nutztierhaltung. Hier haben wir unter anderem viel diskutiert, ob das Thema mit in einen Kodex reingehört oder nicht, haben uns dann aber dafür entschieden, weil wir als (angehende) Tierärzte einen wichtigen Schnittpunkt in der Gesellschaft ausmachen. Wie bereits kurz erwähnt stehen wir bei diesem Thema ein bisschen dazwischen, können sowohl mit den Landwirten als auch mit den Klimabewegungen kommunizieren. Ich finde, dass wir eine tolle Position haben als Tiermedizinstudierende oder als Tierärzte, das wissenschaftlich basiert erklären zu können, Schnittpunkte finden und auch so ein bisschen vermitteln zu können.

Haben Sie selbst schon kritische Situationen im Studium erlebt?

Thomas Conrad: Ja, das war im Schlachthofpraktikum. Da fand ich es hilfreich, dass wir dank Frau Meemken durch die Erläuterungen des Meldebogens etc. schon mal sensibilisiert wurden, wie wir damit umgehen können. In meinem Fall wurden Tiere angeliefert im Schlachthof, die einfach nicht gut aussahen, denen ging es nicht gut, das war sehr klar ersichtlich. Das war dann schon ein Schritt, erst in die Rücksprache zu gehen, auch mit der Amtstierärztin vor Ort und zu fragen, was man da jetzt machen kann und warum das nicht verhindert worden ist. Mit dem Prozess konnte ich das ganz gut ausräumen. Die Anleitung hat mir da definitiv geholfen.

Wie erfahren die Studierenden von dem Kodex und dem Meldebogen?

Christa Thöne-Reineke: Nachdem der Ethik-Kodex der Studierenden vor einiger Zeit über das Dekanat in den Fachbereichsrat gegeben und dort verabschiedet wurde, sind die Dokumente nun sowohl auf der Website des Fachbereichs als auch im Tetfolio, zu dem ja alle Studierenden Zugang haben, zu finden. Auch in den Begrüßungsveranstaltungen der Erstiwoche wird es zukünftig thematisiert sowie in meinen Vorlesungen Tierschutz, Ethik und Recht im 2. und 4. Semester. Im 8. Semester greift es dann Frau Meemken in ihrem Bereich noch einmal auf.

Thomas Conrad: Das Tetfolio wollten wir bewusst bei null beginnen, also kein großes Vorwissen voraussetzen. So kann sich jeder Student zu jedem Zeitpunkt des Studiums damit beschäftigen und kritisch auseinandersetzen, mit Ethik im Allgemeinen und den ethischen Problemen, die vielleicht entstehen durch Tierversuche oder jedes Arbeiten am Tier, Tierschutz und auch der Umgang miteinander.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Thomas Conrad: Ich fände es schön, wenn der Ethikkodex auch weiterhin bearbeitet wird und sich an die Situation und den Fortschritt anpasst, den wir in vielen Bereichen haben werden, wenn 3R wirkt und ankommt und sich diese drei Punkte wirklich durchgesetzt haben. Das ist ja das Ziel und es wäre toll, wenn wir das weiterhin verbessern können.

Christa Thöne-Reineke: Ich würde noch einen Schritt davor gehen: Ich würde mich freuen, wenn der Ethikkodex ab jetzt nicht nur gelesen und verstanden, sondern auch gelebt wird. Dass jemand, der Probleme hat, auf Frau Meemken oder mich zugeht, mit diesem Meldebogen, und dass jeder die Möglichkeit hat, sich darüber intensiv zu informieren. Auch soll es von Studierenden als eine gute Hilfestellung, ein Leitfaden, genutzt werden, um ins Studium reinzukommen und sich wohlzufühlen.

Außerdem freue ich mich über eine Einladung aus Leipzig und aus Wien, unseren Ethik-Kodex von Studierenden für Studierende der Veterinärmedizin dort vorzustellen. Da haben Studierende bereits Interesse an dem Thema signalisiert. Wenn dann noch andere Unis nachziehen, wäre das wunderbar. Bisher gibt es etwas Vergleichbares an anderen Universitäten nicht.

Vielleicht müssen wir den Kodex in fünf Jahren auch noch einmal überarbeiten, weil wir dann einen Schritt weiter sind und dann in zehn Jahren vielleicht noch einmal, das will ich gar nicht in Abrede stellen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist das Common Sense.


Das Interview führte Friederike Grasse

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