Springe direkt zu Inhalt

Die Erweiterungsbauten von Ludwig Ferdinand Hesse

Die zweite Bauphase 1836 bis 1840

Das "Wohn- und Lehrgebäude" der Kgl. Tierarzneischule in Berlin. (Aus: Hesse 1843, Taf. XDIV, Ausschnitt)

Das "Wohn- und Lehrgebäude" der Kgl. Tierarzneischule in Berlin. (Aus: Hesse 1843, Taf. XDIV, Ausschnitt)

 Das geplante Wohnhaus für die Militärelven. (Aus: Hesse 1843, Taf. XDVI, Ausschnitt)

Das geplante Wohnhaus für die Militärelven. (Aus: Hesse 1843, Taf. XDVI, Ausschnitt)

Das Hauptgebäude wurde im Auftrag des Königs Friedrich Wilhelm III. 1839/40 von Ludwig Ferdinand Hesse erbaut. Als "Wohn- und Lehrgebäude" war es Teil der zweiten großen Bauphase der Königlichen Tierarzneischule, knapp 50 Jahre nach deren Gründung. Im Laufe dieser Zeit hatten sich die Ansprüche an die Institution gewandelt. Von einer eher praktisch ausgerichteten Einrichtung ausgehend, wurde in den kommenden Jahren vermehrt Wert auf eine umfassende wissenschaftliche Ausbildung gelegt. Zudem sollten sich die angehenden Tierärzte jetzt auch in einem höheren Maße anderen Haus- und Nutztieren als den bislang bevorzugten Pferden widmen. Reformbestrebungen setzten ab 1817 unter Johann Gottfried Langermann und Karl Asmus Rudolphi ein und fanden in einem seit 1837 vorgeschriebenen Studienplan ihren Abschluß. Auch in den Baumaßnahmen wurde die Neuausrichtung deutlich, zum einen mußten die Ställe vergrößert werden, zum anderen wurde mit der neu entstandenen Hundeklinik ein weiteres Feld der Veterinärmedizin abgedeckt. Gestiegene Schülerzahlen machten neue Räume zur Unterbringung und Lehre erforderlich.

Die seit 1835 zuständige Behörde, das "Curatorium für die Krankenhaus und Thierarznei=Schul=Angelegenheiten" gab 1836 Ludwig Ferdinand Hesse den Auftrag, die erforderlichen Gebäude zu entwerfen. Hesse (1795-1876) war Schüler und Mitarbeiter Schinkels und seit 1831 Königlicher Hof-Bau-Inspector. Kurz vor der Bauzeit des Hauptgebäudes unternahm Hesse eine Italienreise zur Weiterbildung (1838/39). In späteren Jahren, ab 1869, wurde er Königlicher Schloßbaumeister.

Durch zwei Schriften sind wir heute sehr gut über die Organisation und die Bauten der Tierarzneischule aus der Zeit um 1840 informiert. Zum einen berichtete der damalige Direktor der Schule, J. C. Albers in einer "Einladungsschrift zur Feier der Einweihung des neuerbauten Thierarzneischulgebäudes und des funfzigjährigen Bestehens der Anstalt" zum 2. Februar 1841 sowohl die frühe Geschichte der Schule als auch die gegenwärtige Situation. Zwei Jahre später veröffentlichte der Architekt Hesse in der Allgemeinen Bauzeitung, einer weitverbreiteten Fachzeitschrift für Architekten, eine Beschreibung der Bauten nebst Stichen mit Grund- und Aufrissen. Natürlich legten die beiden Autoren unterschiedliche Schwerpunkte, aber es ist auffällig, daß sich die Texte zu den Bauten sehr weit gleichen. Es ist also anzunehmen, daß sich der Architekt ein genaues Bild von den besonderen Anforderungen gemacht und dazu mit den Professoren Rücksprache gehalten hatte. Weiterhin waren Hesse auch technische Innovationen wie eine Luftheizung und Regenrinnen im Hauptgesims wichtig.

Für die Tierarzneischule stand "die Erbauung eines neuen Thierarzneischul=Lehrgebäudes nebst den erforderlichen Stallungen für 110 Pferde, so wie die Anlage eines Gebäudes zur Heilung kranker und toller Hunde" an, wie Hesse 1843 schrieb. Außerdem sollten für die damals 80 Militäreleven wieder Unterkünfte auf dem Gelände in einer Kaserne geschaffen werden, denn seit dem 1832 erfolgten Abriß des baufälligen Wohn- und Lehrgebäudes waren diese in angemieteten Wohnungen in der Nähe untergebracht. Dieses Gebäude sollte an der Philippstraße entstehen, wurde jedoch nicht ausgeführt.

Die Arbeit Hesses beschränkte sich aber nicht nur auf den Entwurf der Gebäude, sondern gleichzeitig sorgte er auch durch deren Anordnung für eine straffere Organisation des Geländes der Tierarzneischule. In der Gründungsphase auf dem Gebiet eines Barockgartens angelegt, hatte Carl Gotthard Langhans 1789 noch das Ideal des weitläufigen Landschaftsgartens auch in der Disposition der Tierarzneischulgebäude verfolgt. So stand z.B. das Anatomische Theater auf einem Hügel, umgeben von Koppeln und in Nachbarschaft der Panke. Kleinere Parkarchitekturen wurden noch lange als Ställe, Wohnhäuser etc. weitergenutzt. Hesse hingegen gliederte das Gelände stärker. Mit dem Ehrenhof des Hauptgebäudes gab es jetzt einen repräsentativen Zugang zur Tierarzneischule. Das Wohngebäude für die Militäreleven hätte etwas abseits gelegen und gleichzeitig eine Begrenzung des Geländes zur Philippstraße dargestellt. Besonders auffällig ist jedoch, daß Hesse eine Konzentration der Ställe, Schmiede und weiterer klinischer Gebäude im nördlichen Teil des Geländes anstrebte. Der parkähnliche Charakter der Anlage wurde dadurch jedoch nicht aufgehoben, wir wissen durch Hesse um die Beteiligung eines anerkannten Parkgestalters: Mit Ausnahme des Botanischen Gartens "wurde nach Beendigung der Neubauten durch die gefällige Mitwirkung des königlichen Garten-Direktors Herrn Lenné" der Garten "auf geschmackvolle Weise umgeschaffen".

Das Hauptgebäude

 Das "Agoranomion" in Athen. (Aus: Travlos 1971, S.38)

Das "Agoranomion" in Athen. (Aus: Travlos 1971, S.38)

 Schinkel, Entwurf zu einem Fasaneriemeisterhaus. (Aus: Riemann, Hesse 1991, Abb. 49, S. 78)

Schinkel, Entwurf zu einem Fasaneriemeisterhaus. (Aus: Riemann, Hesse 1991, Abb. 49, S. 78)

 Schinkel, Theater in Frankfurt/Oder. (Aus: Semino 1993, S. 157)

Schinkel, Theater in Frankfurt/Oder. (Aus: Semino 1993, S. 157)

Bei der Planung des Hauptgebäudes mußten im wortwörtlichen Sinne zwei unterschiedliche Funktionen unter ein gemeinsames Dach gebracht werden. Zum einen sollte es ein Lehrgebäude werden, zum anderen aber auch Wohnungen für Professoren und Schüler bergen.
Hesse siedelte die Lehrräume im erhöhten Mittelrisalit an, die Seitenflügel nahmen die Wohntrakte auf. Das dreiflügelige Gebäude bildet quasi einen Ehrenhof zur Luisenstraße und damit einen repräsentativen Eingang zum Gelände der Tierarzneischule.
Der Stil Hesses lehnte sich auch in anderen Bauten eng an den Klassizismus Karl Friedrich Schinkels an. Die Gestaltung der Fassade mit der flachen Putzrustizierung, den eingeschnittenen Fenstern mit gerader Bedachung und das Motiv des doppelreihigen Rundbogens im Mitteltrakt erinnern deutlich an Bauten Schinkels.

Das Vorbild für das letztgenannte Motiv steht heute noch an seinem originalen Platz auf dem Cäsar und Augustus Forum in Athen. Die "Agoranomion" genannte Bogenreihe bildete wahrscheinlich den Eingang zu einem wichtigen öffentlichen Gebäude aus dem 1. Jahrhundert nach Christus, dessen Zweck aber nicht überliefert ist. Schinkel kannte die Architektur Griechenlands aus verschiedenen Stichwerken und war an den Ergebnissen der Archäologie sehr interessiert. Die originale Bogenreihe wird von drei halbrund geschlossenen Öffnungen gebildet, deren Segmentbögen in rechteckige Rahmen eingestellt sind. Die Zwickel schmücken Rosetten.

Schinkel verwendete dieses Motiv an Bauten unterschiedlichster Funktion. Wahrscheinlich die früheste Spiegelung findet sich als freie Adaptation bei einem Entwurf für ein Fasaneriemeisterhaus im Berliner Tiergarten, 1825 (so nicht verwirklicht). Anstelle der Rosetten schmücken hier jedoch Hirschköpfe den Bau.

Auch die Wagenremise in Klein-Glienicke zeigt die griechische Bogenstellung. In dieser Reihung wurde es zu einem vielfach von Schinkels Schülern benutzten Arkadenmotiv.
Die Doppelung des Motivs durch Supraposition ist ebenfalls keine genuine Leistung Hesses. Schinkel hatte sich damit seit Mitte der 1820er Jahre bei Planungen für die Fassade des Hamburger Stadttheaters und auch in den Entwurfsvarianten für Berliner Vorstadtkirchen beschäftigt. Diese Fassaden kamen zwar nicht zur

Ausführung, wurden aber von Schinkel in Stichwerken publiziert.

Noch deutlicher zeigt sich die Verwandtschaft bei dem Theater in Frankfurt /Oder, das fast zeitgleich mit dem Berliner Hauptgebäude nach Schinkels Entwürfen entstand (1835 – 1842, abgerissen). Wie in Berlin war der Mittelrisalit etwas höher als die Seiten und von einem Giebel überfangen. Auch in Bezug auf den bauplastischen Schmuck lassen sich Gemeinsamkeiten erkennen, beide Giebel schmücken Relieffeldern, und anstelle der Rosetten des Athener Motivs finden sich bei beiden Bauten Büsten.

Der Bildhauer Ludwig Wilhelm Wichmann (1788-1859), der in Berlin den bauplastischen Schmuck schuf, war ein angesehener Künstler. Schüler Johann Gottfried Schadows, wurde Wichmann 1819 Mitglied der Berliner Akademie und lehrte dort Ornamentik. Ein weiterer wichtiger Bestandteil seines Schaffens waren Porträtbüsten. An dem Hauptgebäude zeigen die Bildnismedaillons in den Zwickeln oben Förderer der Naturwissenschaften, in der unteren Reihe Begründer von Veterinärschulen. Hesse beschrieb sie 1843 wie folgt:

"In den Nischen stehen die Büsten derjenigen Männer, welche um die Veterinärkunde und bei Gründung der an verschiedenen Orten errichteten Thierarzneischulen sich Verdienste erworben haben. An dem oberen Geschosse befinden sich die Bildnisse des Aristoteles, Abhyrtus, Ramazzini, Lancisius, Lafosse und Pessina, Männer der älteren und neueren Zeit, welche durch ihre hinterlassenen Schriften über Naturwissenschaften ec. allgemein bekannt sind. Am untern Geschoß befinden sich die Bildnisse der Gründer von Thierarzneischulen, als: Wollstein zu Wien; Bourgelat bei Paris; Kerstein zu Hannover; Abilgard zu Kopenhagen; Cothenius und Langermann zu Berlin."

Hesse erwähnt auch das Giebelrelief, das ebenfalls von Wichmann stammt. "In dem Giebelfelde befindet sich ein Hautrelief [=Hochrelief], welches in der Mitte Borussia als Beschützerin der Wissenschaften darstellt, in der Rechten ein aufgeschlagenes Buch, in der Linken das preußische Schild haltend, unter dessen Schutz die Künste und Wissenschaften einen gedeihlichen Fortgang haben. Von beiden Seiten werden derselben ein Pferd und ein Stier zugeführt. Auf der einen Seite steht eine mit einem Mantel bekleidete männliche Figur docirend, indem sie auf das Pferd hinweiset; auf der andern Seite steht ein Jüngling, welcher die Lehren begierig aufzeichnet".

Im Inneren des Mittelrisalits waren im Erdgeschoß zwei Lehrsäle für je 130 Zuhörer und ein Konferenzzimmer untergebracht. Darüber fand die Bibliothek einen neuen Aufstellungsort im Mezzaningeschoß, dort gab es auch einen Lesesaal und Räume für die verschiedenen Sammlungen. Der große Saal im Obergeschoß war für Prüfungen und Feierstunden gedacht. Er nahm die volle Höhe der Bogenfenster auf. Allegorische Wandmalereien schmückten die Bögen, sie bezogen sich auf "die Hauptzweige des thierärztlichen Unterrichtes", wie Hesse 1843 schrieb. In der Folgezeit zwang die Raumnot jedoch zu einer Degradierung des Saales im Hauptgebäude zum Chemie-Hörsaal. Zur 100-Jahr-Feier der Tierarzneischule 1890 stellte man den ursprünglichen Zustand wieder her und nutzte ihn fortan als Aula.

Anläßlich der gleichen Feier gab man ein Denkmal für Andreas Gerlach bei dem Dresdner Bildhauer Otto Panzer in Auftrag und stellte es im repräsentativen Ehrenhof auf. Das Denkmal steht heute hinter dem Hauptgebäude.

Das Gebäude steht den Veterinärmedizinern erst seit 1990 wieder zur Verfügung. Nach 1945 zog zuerst die sowjetische Kommandantur dort ein, nach 1950 nutzte es das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten. Weitere spätere Nutzer waren das Staatssekretariat für Kirchenfragen und das Amt zur Verwaltung des Vermögens der DDR.

Pferdestallungen

 Die Pferdestallungen der Kgl. Tierarzneischule Berlin. (Aus: Hesse 1843, Taf. XDVII, Ausschnitt)

Die Pferdestallungen der Kgl. Tierarzneischule Berlin. (Aus: Hesse 1843, Taf. XDVII, Ausschnitt)

Zu Beginn der Bauphase entstand 1837/38 der große medizinische Pferdestall für ca. 110 Pferde. Dabei wurde bedacht, daß man drei abgetrennte Abteilungen brauchte, um die Tiere nach den Stadien ihrer Krankheit zu trennen. Außerdem wurde zur Vermeidung von Zugluft die Anordnung so gewählt, daß "die Pferde mit den Köpfen gegen die Mittelwand stehen. Die kranken Thiere entgehen dadurch dem Luftzug, welcher in der Nähe des Fensters immer bemerkbar ist", wie Hesse erläuterte. Bei der Gründung der Tierarzneischule 1790 hatte noch ein Stall für 40 Pferde ausgereicht. Nach Angaben Albers behandelte man in den Jahren 1806-1819 jährlich knapp 500 Tiere, aber mit der Übernahme von Halbach 1819 und Professor Hertwig 1826 stiegen die Patientenzahlen rapide an. Ab 1836 behandelte man sogar fast dreitausend Pferde.

Hundeklinik

 Die Hundeklinik der Kgl. Tierarzneischule in Berlin. (Aus: Hesse 1843, Taf. XDVII, Ausschnitt)

Die Hundeklinik der Kgl. Tierarzneischule in Berlin. (Aus: Hesse 1843, Taf. XDVII, Ausschnitt)

Die Hundeställe lagen in zwei Gebäuden um einen kleinen abgeschlossenen Hof mit Brunnen und Bäumen, so daß sie eine eigene Anstalt bildeten. Wie in der Pferdeklinik unterschied man in drei Abteilungen, gesunde, der Krankheit verdächtige und eindeutig erkrankte Tiere. Vorwiegend wurde die Tollwut erforscht und ein besonderes Augenmerk lag deswegen auf dem Stall für die tollen Tiere. Eine "Holzwand mit mehreren kleinen Öffnungen versehen" diente zur Beobachtung. Zu den Sicherheitsvorkehrungen gehörte auch ein speziell angefertigter Kasten für Futter und Wasser, sowie eine weit oben gelegene Luke um andere Tiere –ohne Gefahr für die Menschen- zu wissenschaftlichen Versuchen mit den kranken Hunden zusammen bringen zu können. Wie Albers schrieb, waren "alle diese Vorsichtsmaßregeln […] um so mehr nothwendig, weil man die Thiere in dem Stall frei herumlaufen läßt, damit ihr Benehmen möglichst ungestört beobachtet werden kann".

Literatur:
Albers, J.C.: Geschichte der Königlichen Thierarzneischule zu Berlin nebst Darstellung ihrer bisherigen Leistungen und gegenwärtigen Verfassung. Einladungsschrift zur Feier der Einweihung des neuerbauten Thierarzneischulgebäudes und des funfzigjährigen Bestehens der Anstalt. Berlin, 1841
Hesse, Ludwig Ferdinand: Die Thierarzneischule in Berlin. Allgemeine Bauzeitung. 8 (1843), S. 20-29, Tafeln XDIV-XDVII
Riemann, Gottfried, und Christa Heese: K.F. Schinkel. Architekturzeichnungen. Berlin, 1991
Semino, Gian Paolo: K.F. Schinkel. Zürich, München, London, 1993
Travlos, John: Bildlexikon zur Topographie des antiken Athen. Tübingen, 1971
Uecker, E.: Zur Geschichte des Hauptgebäudes der Berliner Tierarzneischule. Monatsh. Vet.-Med. 46 (1991). S. 656-657
Wens, Hanns Martin: Die königliche Tierarzneischule zu Berlin 1840. Berl. Münchn. Tierärztl. Wochenschr. 100 (1987). S. 306-313

Autorin: Carola Aglaia Zimmermann (2005)